So einfach ist dieses Virus nicht gestrickt

Oderland.news sprach mit Professor Dr. Michael Kiehl vom Klinikum Frankfurt (Oder).

So einfach ist dieses Virus nicht gestrickt

Georg Langer: Die ersten Corona-Fälle in Frankfurt wurden im Klinikum gemeldet. Sind seitdem alle Mitarbeiter des Klinikums getestet worden?

Professor Michael Kiehl: Nein, sondern wir testen im Moment routinemäßig alle Mitarbeiter, die auf den entsprechenden Stationen arbeiten. Alle Patienten, wo Verdacht besteht, gehen im Prinzip auf eine Station. Dieses Team aus Ärzten, Physiotherapeuten, Schwestern wird komplett einmal die Woche untersucht, ob was vorliegt oder nicht. Alle Mitarbeiter zu screenen ist im Moment in der Diskussion. Ist meines Erachtens sinnvoll. Auf der anderen Seite natürlich ein Kostenblock, wo man schon sehr genau überlegen muss: Macht man es, macht man es nicht? Daten, dass man das zwingend tun muss, gibt es nicht. Auf der anderen Seite würde es natürlich jeden Patienten beruhigen, wenn er weiß, er wird behandelt von jemandem, der definitiv negativ ist. Aber auf der anderen Seite: Der Test ist heute negativ, drei Tage später positiv. Es ist eine Pseudo-Sicherheit, die man sich da ein bisschen vorspielt.

Sie sagten, es ist ein Kostenpunkt. Wird es nicht von den Kassen bezahlt?

Da prügeln sich im Moment alle drum. Wer muss denn das bezahlen? Sie können natürlich sagen: Die Kassen. Aber ich bin ja in dem Moment nicht krank, sondern ich lass mich prophylaktisch untersuchen. Man kann auch sagen, dass die Berufsgenossenschaft dafür zuständig sei. Man kann auch sagen, dass das Gesundheitsministerium dafür zuständig ist. Genau so gut kann man auch sagen, dass der Arbeitgeber zuständig ist. Also da gibt es sicherlich zig Leute die sich darum prügeln, das zu bezahlen.

Wie viele Menschen könnten im Notfall künstlich beatmet werden?

Hier im Klinikum?

Ja.

Die maximale Beatmungskapazität liegt bei 30 Patienten.

Als die Krise anfing, da wurden Zahlen vorgerechnet, dass es eventuell tausende Frankfurter betreffen könnte, gleichzeitig. Glauben Sie noch, dass es zu so einem Fall kommen könnte?

Könnte, definitiv. Sie merken ja auch, dass in der Bevölkerung so langsam gedacht wird: Hier in Frankfurt passiert nichts. Hat ja eh keiner, oder fast keiner. Von daher machen wir locker flockig weiter. Wenn das passiert, dann glaube ich kann es ganz schnell passieren, dass 30 Beatmungsplätze nicht ausreichen.

Also wenn alle Maßnahmen aufgehoben werden?

Wenn alle verrückt spielen, ja.

Wie viele Leute mussten bisher von den in Frankfurt Erkrankten beatmet werden?

Einer. Das war auch erfolgreich.

Jemand mit Vorerkrankung, nehme ich an.

Nein, keine Vorerkrankung, die das Risiko erhöht hätte. Es war eigentlich ein Gesunder, und eigentlich auch ein Junger.

Also ein Ausnahmefall von der Regel der Risikogruppen?

Das ist genau das Gefährliche, wenn man immer betont: Es gibt diese Risikogruppen, ältere Leute jenseits von 60 oder Menschen mit Vorerkrankungen. Das ist zu einfach gedacht. So einfach ist dieses Virus nicht gestrickt. Das ist intelligenter. Das nimmt sich auch den Jungen, der nichts hat. Und auch der kann daran sterben. Zwar ist die Häufigkeit bei den Älteren höher, aber auch für den Jüngeren kann es durchaus lebensbedrohlich sein.

Nun gibt es Geschichten, dass andere Behandlungen im Klinikum abgesagt wurden, um sich auf Corona vorzubereiten. Stimmt das?

Das stimmt. Das war eine Auflage des Bundesgesundheitsministeriums, dass entsprechende Kapazitäten freizuhalten sind, und von verschiebbaren Eingriffen Abstand genommen werden sollte. Die Operationen, die nicht zwingend durchgeführt werden müssen, sind verschoben worden. Wenn eine Hüfte kaputt ist, aber der Patient sich noch bewegen kann, und nicht extrem eingeschränkt ist durch diese Hüfte, wird sie verschoben.

Eine recht neue Geschichte ist, dass ein Teil des Klinikums, allerdings nicht Ihrer, Kurzarbeit beantragt hat. Hängt das mit der Corona-Krise zusammen?

Die Frage kann ich nicht beantworten. Da müsste ich spekulieren. Ich bin im MVZ nicht involviert.

Glauben Sie, dass wir jemals die Situation haben wie in Schweden, dass eine Herdenimmunität sich einstellt?

Das wird kommen, aber wird bei uns länger dauern. Anders als die Schweden haben wir sofort sehr restriktiv reagiert, um die Erkrankungszahl so gering wie möglich und so langsam steigend wie möglich zu halten. Die Schweden haben alles offen gelassen, und genau darauf spekuliert. Welcher ist der richtige Weg? Die Frage kann Ihnen definitiv keiner beantworten. Wobei aber auch Schweden jetzt das Problem hat mit einer deutlichen Übersterblichkeit und mit entsprechenden wirtschaftlichen Konsequenzen. Man reflektiert auch in Schweden permanent, ob man jetzt vielleicht nicht doch einschränken sollte. Ich denke, dass der bundesdeutsche Weg für unser System optimal war.

Was halten Sie von der neuen Maskenpflicht? Werden damit Masken vom Markt genommen, die im Krankenhaus mehr gebraucht werden?

Nein. Wenn man diese Stoffmasken nimmt, die Halstücher, die Schals, die die Bevölkerung tragen soll, nimmt das dem medizinischen Bereich nichts weg. Es ist witzlos, wenn ein Patient mit FFP3-Masken mit hohem Sicherheitsstandard durch die Gegend läuft. Das ist nicht Sinn und Zweck der Sache. Das würde die Krankenhäuser schädigen. Aber mit Mundschutz, Tuch oder Schal schütze ich mein Gegenüber. Das ist absolut ausreichend und richtig. Die Betonung liegt auf Mundschutz und Abstand. Diese 1,5 Meter sind entscheidend.

Was ist mit Patienten, die Asthma oder COPD haben? Sind Masken auf Dauer nicht schädlich für die?

Nee, sondern anders herum. Die sind genau richtig für die, denn das ist ja auch ein Hochrisikokollektiv. Wenn ich eine Lungenerkrankung habe, die entsprechend behandelt wird, und da setze ich so ein Virus drauf, das ist hochbrisant und hochgefährlich. Das sind die Patienten, wo ich mir am meisten Sorgen mache, dass die eine Covid-Infektion akquirieren.

Die eingeschränkte Sauerstoffzufuhr durch die Maske ist dann nicht so schlimm, finden Sie?

Nein, die ist nicht eingeschränkt dadurch. Es fällt einem schwer, man muss intensiver atmen, aber das können die Patienten. Und das schadet keinem.

Was würden Sie Leuten, abgesehen von Abstand halten, noch raten, um die Krankheit zu vermeiden?

Man sollte sich sehr genau überlegen: Muss ich jetzt in das Einkaufszentrum gehen, weil ich dringend was brauche, oder gehe ich zum Familienausflug durch die Gegend flanieren? Letzteres würde ich einschränken. Ich würde weiterhin jedem empfehlen, sich sehr genau zu überlegen, ob er seine Eltern besucht, die 60, 70, 80 Jahre alt sind. Da sollte man zurückhaltend sein. Bei den Kontakten, die man hat, sollte man weiterhin sehr zurückhaltend bleiben. Wenn sich irgendjemand krank fühlt, oder ein bisschen den Eindruck hat, er könnte Husten, Schnupfen, Heiserkeit haben, besser einmal zuviel den Arzt kontaktieren, als durch die Gegend zu laufen und jemanden anders mit zum Arzt zu nehmen.

Logo