Notbetreuung für Kinder

Oderland.news sprach mit Jens-Marcel Ullrich (SPD), Beigeordneter für Jugend, Soziales und Gesundheit der Stadt Frankfurt (Oder).

Notbetreuung für Kinder

Georg Langer: Wenn Kinder wochenlang eingesperrt werden, schreitet das Jugendamt für gewöhnlich ein. Jetzt müssen Sie aber genau sowas unterstützen. Wie fühlt sich das an?

Jens-Marcel Ullrich: Es ist eine schwierige Situation für alle Beteiligten, von daher dass Corona noch niemand erlebt hat. Aber gemessen an den Umständen haben wir die Situation bis jetzt ganz gut im Griff. Wir verzeichnen eben nicht auffällige Zahlen im Bereich des allgemeinen sozialen Dienstes, wenn es darum geht, häusliche Gewalt oder Kindeswohlgefährdung zu verfolgen. Insofern freuen wir uns, dass die bisherige Zeit sich nicht so ausgewirkt hat, dass wir da ein Riesenproblem hätten. Nichtsdestotrotz vermissen natürlich genau wie die Erwachsenen auch die Kinder den gewohnten Umgang mit ihren Freundinnen und Freunden, aber auch mit ihren Erzieherinnen und Erziehern. Vor dem Hintergrund, dass das Land jetzt die Kita-Notbetreuung ein Stück weit gelockert hat und den Umkreis derer, die Anspruch auf Kita-Notbetreuung haben, erweitert hat, stehen wir vor der Herausforderung, vor dem Hintergrund der Standards, die da zur Anwendung kommen, dass wir an Grenzen stoßen und die Kinder nicht wahllos in irgendwelche Einrichtungen geben können, weil schon das Thema Bezugsperson Erzieher eine große Rolle spielt.

Warum gibt es jetzt weniger Erzieher als sonst?

Zum einen hat das Land gesagt, dass bestimmte Risikogruppen nach Möglichkeit nicht zur Erziehung herangezogen werden sollen. Das sind die gleichen Risikogruppen, wie sie auch in der Verwaltung definiert wurden: Mit bestimmten Vorerkrankungen, ab bestimmtem Alter. Zum anderen sind auch Teile der Erzieherinnen und Erzieher mit anderen Aufgaben betraut worden. Die werden jetzt nach und nach zurück in die Linie überführt.

Der Zugang zur Notbetreuung ist einfacher geworden. Ich hab mir mal diesen Antrag angeschaut. Ist es noch aktuell, dass man den eine Woche vorher einreichen soll?

Ja, wir brauchen ein bisschen Vorlauf. Wir sind mit der Antragsflut ganz gut fertig geworden. Aktuell sind noch 50 Anträge unbearbeitet und zehn Widersprüche offen. Das ist schon eine Leistung bei über 1.000 Anträgen die eingegangen sind. Jeder Fall ist insoweit ein Einzelfall, dass immer die Klausel gilt: Soweit eine andere Betreuung nicht sichergestellt werden kann. Insofern sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehalten, das zu kontrollieren, dass kein Missbrauch stattfindet.

Hier steht unter anderem, dass Leute einen Anspruch haben, wenn sie keine sonstige individuelle beziehungsweise private Betreuung organisieren können.

Genau, das macht den Fall zum Einzelfall, und deswegen muss dargelegt werden, warum das nicht möglich ist.

Wäre es nicht gegen die Kontaktbeschränkungen, wenn jemand der nicht im Haushalt lebt die Kinder betreut?

So denn die Großeltern bisher keinen Umgang zu Zeiten von Corona mit dem Kind gepflegt haben, wäre es ein Verstoß gegen die Kontaktbeschränkungen. Nichtsdestotrotz gibt es manchmal auch Konstellationen, wo ein größerer Familienverbund in einem Objekt lebt, also wo per se die Kontaktbeschränkung nicht greift. Und da muss man ein bisschen genauer hinschauen. Wir müssen auch prüfen, inwieweit Leute nicht in Kurzarbeit sind beziehungsweise im Home Office, mit denen die Betreuung der Kinder schon abgesichert werden kann.

Es ist inzwischen auch für Alleinerziehende Notbetreuung erlaubt, wenn sie in systemkritischen Berufen arbeiten. Hier steht aber, dass sie erläutern sollen, warum der Kindesvater nicht die Betreuung übernehmen kann.

Man kann auch als alleinerziehend gelten, und lebt trotzdem mit seinem Partner in einer Gemeinschaft. Insofern müssen wir auch da ein bisschen schauen, ob uns da bestimmte Sachen nicht gesagt werden, ob wir hinters Licht geführt werden. Dem Grundsatz, dass nach Möglichkeit Kinder zu Hause betreut werden, dem soll Rechnung getragen werden. Kita-Notbetreuung ist die Ausnahme von der Regel.

Warum wird da speziell der Kindesvater genannt? Es gibt auch alleinerziehende Männer.

Das ist ein Fehler im System. Das ist nicht ordentlich gegendert.

Nun werden in verschiedenen Ländern die Kitas wieder geöffnet. In Dänemark und Norwegen ist es schon passiert. In Holland ab nächste Woche. In der Schweiz und in Schweden wurden sie nie geschlossen. Gibt es bei uns schon Anzeichen in Brandenburg, ob das wieder passieren wird?

Es gibt ja die so genannte Kultusministerkonferenz, die vereinbart hat, stufenweise den Kitabetrieb wieder hochzufahren. Allerdings abgestimmt auf die regionalen Besonderheiten. Insofern sind die Ländern gefragt, entsprechende Regelungen durch Weisungen zu erlassen. Das korrespondiert natürlich mit der Lockerung in Corona-Zeiten, was die Branchen anbelangt. Da muss man eben sehen, dass man das gesunde Maß findet. Man kann nicht alle Berufsgruppen wieder zulassen. Beziehungsweise ist ja jetzt im Gespräch, dass ab 15. Mai die Gaststätten wieder öffnen können, unter bestimmten Auflagen. Je mehr man da lockert, desto mehr Kitabetreuung ist wieder notwendig. Da ist Land sicherlich gefragt, dass sich die Ministerien entsprechend abstimmen.

Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sind in Deutschland Kinder und Jugendliche besonders hart betroffen von den Corona-Maßnahmen. Denen wurden gleich zu Anfang Kitas, Schulen, Spielplätze und Jugendclubs untersagt, und die scheinen die letzten zu sein, bei denen es Lockerungen gibt. Kann es sein, dass die bei Bund und Ländern nicht so eine hohe Priorität genießen wie die Wirtschaft?

Der europäische Vergleich hinkt insoweit, als dass in Spanien man noch viel rigoroser vorgegangen ist. Dort durften die Kinder und Jugendlichen nicht einmal das Haus verlassen, und dürfen zurzeit nur sechs Stunden am Tag in die Öffentlichkeit. So schlimm war es bei uns in Deutschland nicht. Kinder und Jugendliche genießen natürlich eine hohe Priorität, auch im politischen Raum. Aber ich denke schon, vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Unsicherheiten, die es noch gibt, dass es schwierig ist, im Nachhinein zu beurteilen, welche Zielgruppe oder welche Personengruppe man hätte wie behandeln müssen, oder in welcher Reihenfolge. Ich denke, dass Deutschland bisher einen guten Job gemacht hat. Wenngleich ich auch kritisch anmerke, war es am Anfang so, dass aufgrund des Föderalismus ein Wettbewerb entstand: Wer ist der Schnellste, der das öffentliche Leben lahmlegt? So beobachte ich jetzt mit Sorge den Wettbewerb: Wer ist der Schnellste, der Lockerungen herbeiführt? Dabei spielt die Frage natürlich eine Rolle: Wie entwickeln sich die Zahlen in der jeweiligen Region? Insofern ist Föderalismus an der Stelle auch angesagt. Aber diese ganzen Verlautbarungen vor dem heutigen Gespräch der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten halte ich für die Bevölkerung für unschön. Wobei Fragen entstehen, die erst heute und morgen beantwortet werden, wenn man sich auf der Ebene Bund und Länder verständigt hat.

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